Wormser Zeitung



Gegen die Entfremdung der Massen

Musiker von "Modern Times" plädieren in Konzert für Sensibilität und Menschlichkeit


Unter dem Titel "Modern Times" begeisterten die Musiker Ingrid El Sigai (Gesang), Markus Neumeyer (Gesang und Klavier) und Frank Wolff (Gesang, Cello) ihr Publikum im Lincoln-Theater.

Von Ulrike Schäfer

"Modern Times" - der interessierte Cineast und Zeitgenosse weiß natürlich, dass dies der Titel eines der berühmtesten Filme Charlie Chaplins ist, 1936 uraufgeführt, in dem er auf unnachahmliche Weise die Entfremdung der Massen in den Fabriken und den Versuch des einzelnen, sich Sensibilität und Menschlichkeit zu bewahren, darstellt. Genau darum ging es auch in der lapidar als "Konzert"" angekündigten Veranstaltung "Modern Times", die Kulturkoordinator Volker Gallé in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung ins Lincoln-Theater geholt hatte.

Wer aber hätte gedacht, dass sich dahinter eine Premiere verbergen würde und ein Juwel der Kleinkunst obendrein? Drei Profis der Spitzenklasse, Ingrid El Sigai (Gesang), Markus Neumeyer (Gesang und Klavier) und Frank Wolff (Gesang, Cello) hatten sich zusammengetan, um einem überschaubaren, aber restlos begeisterten Publikum "Scharfe Töne nach 1900" in Worten und Noten vorzutragen, jeder Beitrag eine kleine Offenbarung an musikalischer Originalität und stimmlicher Brillanz.

Das begann fast unauffällig mit der ersten "Klappe" zu "Modern Times", doch schon war man mittendrin im richtigen Leben mit Erich Kästners beißend-ironischem "Spielzeuglied", dem der Morgenchoral aus der Dreigroschenoper noch spöttisch eins drauf setzte. Danach gab Ingrid El Sigai mit hinreißendem Zungenschlag den "besoffenen älteren Herrn" von Kurt Tucholsky, der vor den Wahlen Umschau zu einem politischen Allerlei findet, das nicht nur dem benebelten Kopf geschuldet ist. Daraufhin tobte Markus Neumeyer mit Strawinsky über die Tasten seines Klaviers und schwenkte dann auf das köstliche "Wenn-Dann-Lied" von der Gleichheit im Kaiserreich ein. Die flammenden Kampfhymnen der Linken hatte Neumeyer zu einem Potpourri verarbeitet, die sich immer stärker verzerrten, bis nur noch wenige Schlagwörter übrig blieben und Frank Wolffs Cellospiel dissonant entgleiste. Zauberhaft danach das Lied von der einsamen Tante Klara, die einen Einbrecher unter ihrem Bett findet, und Brechts "Erinnerung an Marie": Wie die Wolke, von der sie sang, fing Ingrid El Sigai die träumerische Stimmung beim Liebesspiel unterm Pflaumenbaum ein und Wolff ließ die Saiten flirren wie ein Flügelschlag.

"Scharfe Töne" - das meinte auch Arnold Schönberg und Erik Satie, ob der "Mondfleck", das Brettellied oder die "sportlichen Beobachtungen". Friedrich Hollaenders "Raus mit den Männern!" durfte nicht fehlen, das markerschütternde Couplet von Karl Valentin: "Wenn sich ein Herr", blasiert vorgetragen von Markus Neumeyer, und Frank Wolffs intensive Rezitation "Dublin brennt". Es gab die sehenswerte Madame "Goulou" zu bewundern, und schließlich das Schönste aus der Dreigroschenoper - so schön, dass man noch stundenlang hätte zuhören mögen.


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Modern Times, Kritiken