Frankfurter Rundschau

von Judith von Sternburg

Walzersang, ach, dein Klang - "Wiener Blut" in der Stalburg

Für stürmische Wetterlagen eignete sich die Operette sei jeher. Mag draußen Franz toben - ohnedies ein halber Operettenkaiser -, hier drinnen ist es allemal lustig. Dass Johann Straußens Wiener Blut, im Todesjahr des Meisters und schon ohne dessen direkte Beteiligung zusammengestöpselt, der Tupfen Brillanz fehlt, kann hier im Frankfurter Stalburg Theater außer Acht gelassen werden.

Monica Ries, Ingrid El Sigai und Markus Neumeyer wollen sich ja einen Jux machen. Die verwirrende und schlüpfrige Geschichte um den Grafen Balduin, seinen Chef, den Fürsten Ypsheim- Gindelbach und Premierminister von Reuß-Schleiz- Greiz, sowie seine Frau, seine Geliebte und seine Zweitgeliebte kommt ihnen da gerade recht. Die Uraufführung 1899 geriet zum Desaster, das die Finanzbredouille des Wiener Carltheaters schärfte, in deren Folge sich Direktor Franz Jauner 1900 erschoss. Schwer ist das Leben, aber süß ist die Musik.

Graf Balduin, ursprünglich aus der Provinz stammend, inzwischen aber zum Don Juan gereift, wird also im Verlaufe der Handlung versuchen, es sich mit drei Frauen nicht direkt zu verderben. Seine Gattin scheint sich immer noch nicht sicher zu sein, ob nun ein Landei oder ein Casanova zum Gemahl schlimmer ist. Seine Geliebte ist wütend, als sie bemerkt, dass er sie nicht mit seiner Frau, sondern mit einer anderen betrügen will. Seine etwaige weitere Geliebte ist die Probiermamsell Pepi Pleininger. Pepi ist einfach süß. Graf Balduins Kammerdiener hat schon länger ein Auge auf sie.

Man bemerkt schon, dass es viel mehr Personen gibt, als oben Akteure genannt wurden. Ries, El Sigai und Neumeyer bekommen das aber spielend hin. Manfred Roth, Regisseur und Ausstatter, hat sie mit einer ausreichenden Zahl Anziehpuppenkleidern zum Umhängen versorgt. Sie sind aus jenem federleichten und nachgiebigen Bastelmaterial, aus dem ratlose Kinder selten getragene Broschen für ihre Mütter herstellen. Im Stalburg Theater macht es sich toll. Auf einer Leine hängen die Kostüme zum Wechseln, dazu Wien- Postkarten. Wer eine Hand frei hat, spielt Klavier - meistens natürlich der Pianist, Neumeyer. Wenn alle zu beschäftigt sind, wird durch einen Groschen (Knopf?) in den Sektkübel das Klavier selbsttätig. Mit angenehm unsinnigen V-Effekten nudelt das Trio derweil die Geschichte durch und treibt sonstigen Unfug.

Ries und El Sigai singen nicht nur einnehmend fein, sondern lassen auch einen Akzent hören, der zumindest in Frankfurt als Wienerisch im weitesten Sinne durchgehen kann. Neumeyer tut weder das eine noch das andere, dafür ist er ein klasse Pianist und blasierter Balduin. Die Geschmeidigkeit, mit der die drei dem Publikum auch "Sexbomb" und "You give me fever", den Rosenkavalier, den Bolero und Orpheus in der Unterwelt unterjubeln, ohne auf das vorgesehene Walzerglück zu verzichten: Das ist schon ganz groß. Dies galt in der Premiere logischerweise auch für den Beifall.


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FAZ

von Claudia Schülke

Ein Flügel, zwei Damen

Mit „Wiener Blut" holt die Stalburg Hietzing nach Frankfurt
Wer hatte sie totgesagt? Sie lebt und erfreut sich bester Gesundheit: im Wiesbadener Staatstheater, im Volkstheater Frankfurt und nun auch in der Frankfurter Stalburg. Die alte Scharteke ist einfach nicht totzukriegen, und die neue Bürgerlichkeit, die sich allenthalben regt, gibt ihr recht: Operette macht Laune.

Auch wenn sie persifliert ist, wie jetzt in der Inszenierung von Manfred Roth, geht ihre Polka in die Beine, und ihre Walzerträume laden zum Schwelgen ein. Vor ein paar Jahren musste man sich für solch kulinarisches Konsumentenverhalten noch schämen. Mittlerweile ist es wieder erlaubt, sich als Liebhaber der leichten Muse oder Badewannen- Soubrette zu outen. Im Stalburg Theater jedenfalls versöhnen und verbrüdern sich die Zeitgeister im Publikum über die Generationen hinweg im gemeinsamen Bekenntnis zum „Wiener Blut". Adolf Müller jun. hatte 1899 die dreiaktige Operette von Victor Leon und Leo Stein nach persönlichen Angaben von Johann Strauß für die Bühne bearbeitet. Auch, wenn es sich hier um keine originale Strauß-Operette mehr handelt, ist diese musikalische Verwechslungskomödie, gespielt von nur drei Personen, um Strauß-Melodien keineswegs verlegen. Markus Neumeyer hat sie noch einmal musikalisch aufpoliert und ist dabei auch vor zeitgenössischen Pop-Intermezzi nicht zurückgeschreckt.

Sofern Neumeyer nicht am Flügel sitzt wie in den ersten beiden Akten, schlüpft er auch in die Rollen des altersschwachen Fürsten von Reuß-Schleiz- Greiz und des Grafen Zedlau, der abseits vom Wiener Kongress nichts anbrennen lässt. Um ihn streiten sich die angetraute Gabriele, Tänzerin Franzi und Probiermamsell Pepi, der Schatz seines Dieners Josef: ein Tohuwabohu, das stetiger Erläuterungen bedarf - schon um des Illusionsbruches willen.

Manfred Roth hat die Bühne seiner zehnten Stalburg-Inszenierung selbst ausgestattet: mit zwei Oberleitungsschienen, an denen sich Wiener Ansichten wie gigantische Postkarten aufhängen oder zu den Lauben im Schlussakt zusammenschieben lassen. Auch die farbigen Figurinen aus Pappe, hinter denen sich die singenden Schauspieler schadlos halten, kann man daran wie im Kostümfundus aufhängen. Ingrid el Sigai und Monica Ries übernehmen sämtliche Frauenrollen samt Diener Josef, was vor allem in den Ensemble- Nummern zu einem rasanten musikalischen Schlagabtausch führt. Im Übrigen glänzen die beiden Damen auch arios: Ries mit dem Walzer „Grüß dich Gott, du liebes Nesterl" und el Sigai mit „Du süßes Zuckertäuberl mein". Die Schnellpolka „Draust in Hietzing gibt's an Remansuri" steht für den ganzen Abend: Hietzing mit seinem Volksfest liegt jetzt in der Stalburg.


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Bild

von Dr. Becker, Samstag

"Wiener Blut" im Stalburg Theater

Lustig-freches Operetten-Gemetzel
Ja, sind die denn verrückt? Jetzt machen sie auch noch in Operette. "Wiener Blut", sehr frei nach Johann Strauß.
Allzu ernst kann man Operette ja nicht nehmen. Also macht das Stalburg Theater sich ein bisschen lustig drüber. Auf musikalisch durchaus hohem Niveau. Die schönen Melodien setzen sich eh durch. Rauschende Ballkleider, schicke Uniformen, aufwendige Bühnenbilder, prunkende Requisiten, großes Orchester - hier nicht.
Vergrößerte Postkarten an Wäscheleine versetzen nach Wien. Bunte Schaumstoffplatten, ausgeschnitten vorgehängt, ersetzen Kostüme. Die ganze Bagage des grotesken Verwirrspiels würde gar nicht auf die kleine Bühne passen, also hat man auf 3 reduziert, die spielen lustig heißa hopsasa alles. Mitreißend, zwischen Karikatur und echter Seligkeit.
Markus Neumeyer, "Sexbomb" am Klavier. Ingrid El Sigai als Mätresse in höchsten Tönen. Monica Ries als Diener und Gräfin ist dazu noch umwerfend komisch. Witzig, frech, Sachertortensüß. Wiener Schmäh, poppig und verswingt. Irre Mischung, großer Spaß.


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Frankfurter Neue Presse

von Joachim Schreiner

Verliebte ergreift das Soul-Fieber

Das „Trio Kujon“ nimmt Johann Strauß’ „Wiener Blut“ im Frankfurter Stalburg Theater jede Operettenseligkeit.

Eine Operette abendfüllend mit drei Personen auf die Bühne zu bringen – für das „Trio Kujon“ kein Problem. Die Donaumetropole zur Zeit des Wiener Kongresses wird kurzerhand mit ein paar Fotos, die an Drahtseilen aufgehängt werden, ins Bild gesetzt. Auf das Orchester kann man getrost verzichten.

Markus Neumeyer hat nicht nur für die musikalische Bearbeitung des Werks gesorgt, sondern zaubert die ganze Pracht der Partitur aus dem Flügel. Fehlen nur noch die Sänger(innen). Die glänzenden Koloratursopranistinnen Ingrid El Sigai und Monica Ries und Bariton Markus Neumeyer verkörpern spielend leicht, sich jeweils Pappkameraden vor den Bauch haltend, Balduin und Gabriele Graf und Gräfin Zedlau, die Tänzerin Franziska Cagliari, die Probiermamsell Pepi Pleiniger, den Fürsten Ypsheim-Gindelbach und den Kammerdiener Joseph. Ein virtuoses Rollenspiel im fliegenden Wechsel.

Natürlich kommen die amourösen Verwicklungen unter den Protagonisten herrlich zum Blühen. Die Operettenmelodien werden immer wieder zerpflückt und persifliert. Da schleicht sich schon einmal ein Soulklassiker wie „Fever“ ein, wenn selbiges einen der Handlungsträger befällt – und das ist nicht selten der Fall. Briefe werden nicht mehr geschrieben; wofür gibt es ein Handy, mit dem man schnell mal die Leidenschaft ablassen kann! Seinem Vorhaben, die „wahrscheinlich kleinste Operette der Welt“ auf die Bühne zu bringen, ist das Trio unter der Regie von Manfred Roth in knapp zwei kurzweiligen Stunden gerecht geworden. Und nicht nur das. Der Low-Budget- Produktion gelingt es eindrucksvoll, Operette zur großen Kunstform zu stilisieren, indem die Musik auf höchstem künstlerischen Niveau gestaltet wird, und Klischees von einer heilen Welt ad absurdum zu führen. Mehr kann „Kleinkunst“ nicht leisten.


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Offenbach Post

von Stefan Michalzik

"Wiener Blut" im Stalburg Theater

Die Operette ist ein Genre, dem die Opulenz gleichsam eingeschrieben ist. Das vom Frankfurter Stalburg-Theater verfolgte Unterfangen, sie ins kabarettistische Entertainment herüberzuholen, kann zwar keinen Novitätswert für sich beanspruchen, von Schaden ist das indes nicht. "Wiener Blut" frei nach Johann Strauß ist nach eigener Einschätzung "die wahrscheinlich kleinste Operette der Welt" - und gibt sich auch vom Ansatz her bescheiden.

Das vom Hausregisseur Manfred Roth angeleitete Ensemble um die zwei Trio-Kujon_Drittel Monica Ries und Ingrid El Sigai sowie den auch für die musikalische Bearbeitung zeichnenden Markus Neumeyer geht das 1899 von Victor Léon und Leo Stein gefügte Konglomerat aus alten Melodien des schon erkrankten Johann Strauß ungeachtet eines ironischen Grundgestus mit viel wohlwollender Sympathie an und enthält sich einer wohlfeiler Veräppelung. Bar jedweder inszenatorischen Befrachtung kostet die durchweg mit mehreren Rollen beschäftigte Trias - Markus Neumeyer gibt zudem noch den Mann am Klavier - die Ränke der Verwechslungskomödie aus der Zeit des Wiener Kongresses 1814/15 aus.

Auf eine zeitkritische, gar politisch-metaphorische Durchleuchtung waren schon Léon und Stein nicht erpicht. Auch in der Stalburg hält man den Ball flach und beschränkt sich aufs Menschliche. "In der Schwäche liegt ja die Macht der Frauen": Wer mit derlei Aphorismen aufwarten kann, hat die Lacher immer auf seiner Seite. Man verabredet sich per SMS zum "Stölldichein" - und tut das Bewusstsein darüber kund, dass es sich allem amüsanten Bemühen zum Trotz um kein astreines wienerisch handelt. Da helfen auch die vergrößerten historischen Bildpostkarten nichts. Vom Walzertakt ist hier kein weiter Weg zum Jazzgroove. Der erotische Versucher ruft "Fever" nach Peggy Lees Klassiker hervor, kann sich der Bekundung "Je t'aime" nach Serge Gainsbourg erfreuen und wird als "Sex Bomb" (Tom Jones) apostrophiert.

"Alles, was Spaß macht", so lautete sichtlich der Leitsatz dieser munteren Inszenierung. Da erstens drei ausgebuffte Bühnenprofis in Erscheinung treten, zweitens des Guten nicht zu viel getan wurde und drittens die musikalische Erarbeitung höchsten Ansprüchen genügt, ist ein kurzweiliger Abend entstanden. Unter Niveau muss man sich hier nicht amüsieren.


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Wiener Blut, Kritiken